Das nachfolgende Positionspapier steht auch als Download zur Verfügung:
Solidarität mit nach Europa flüchtenden Menschen
Beschlossen von der 43. Bundeskonferenz im November 2015
Solidarität mit nach Europa flüchtenden Menschen
Für die Solidaritätsjugend Deutschlands steht fest: Als Jugendverband fordern wir die uneingeschränkte Solidarität mit flüchtenden Menschen, insbesondere mit Kindern und Jugendlichen, die nach Europa und Deutschland kommen. Kein Mensch flüchtet freiwillig aus seiner Heimat. Fluchtgeschichten sind immer Geschichten von Krieg und Gewalt, Diskriminierung, Verfolgung oder Unterdrückung sowie schweren Menschenrechtsverletzungen. Es sind Geschichten von wirtschaftlichem oder sozialem Elend, Krankheiten – vor allem aber von Verzweiflung und oftmals auch dem Gefühl, nicht willkommen zu sein.
Das Kindeswohl junger Menschen ohne langfristig gesicherten Aufenthalt in Deutschland ist in den Mittelpunkt zu stellen. Es muss ihnen gesellschaftliche Teilhabe und persönliche Weiterentwicklung ermöglicht werden. Wir engagieren uns dabei für eine Jugendpolitik, die junge Menschen wahrnimmt, ihnen selbstbestimmtes Handeln und Aufwachsen ermöglicht, Freiräume einräumt und sie in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützt. Wir treten für die Möglichkeit eines selbst-bestimmten Lebens für Alle und umfassende Mitbestimmungsrechte unabhängig vom Aufenthalts-status ein. Dazu gehören natürlich auch alle jungen Menschen, die ohne langfristig gesicherte Aufenthaltsperspektive in Deutschland leben. Eine Einteilung von Flüchtlingen in unterschiedliche Kategorien und die daraus resultierende Stigmatisierung lehnen wir entschieden ab und wehren uns gegen den wieder stärker werdenden Rassismus und Fremdenhass in unserer Gesellschaft.
Diesen Einsatz gegen Rassismus und Fremdenhass und für die Mitbestimmungsrechte Aller leben wir in der Praxis durch unsere Vereine, Gruppen bzw. Projekte vor Ort und politisch auf allen Ebenen. So wollen wir die so dringend notwendige Willkommenskultur für junge Menschen in Not schaffen. In der Solijugend können die jungen Geflüchteten einfach sie selbst sein, Neues kennenlernenund ihr Recht auf persönliche Entfaltung ausleben. Das muss für Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund genauso selbstverständlich gelten, wie für alle anderen jungen Menschen. Die Integration geflüchteter Jugendlicher in unsere Vereine und Ortsgruppen gilt es aktiv anzugehen und auszubauen. Dazu ist jedoch auch eine angemessene finanzielle Unterstützung von öffentlicher Hand für die Strukturen vor Ort nötig. Wir stellen fest, dass die Politik die Flüchtlingsthematik in den letzten Jahren trotz vielfacher Mahnungen aus der Öffentlichkeit sträflich vernachlässigt hat. Die Politik ist dadurch aktuell zum Reagieren statt zum inhaltlichen Gestalten gezwungen. Dies hat unter anderem zur Konsequenz, dass beispielsweise Sportstätten auf unbestimmte Zeit als Unterkünfte für die Flüchtlinge missbraucht werden müssen. Eine wirksame Flüchtlings- und Migrationspolitik beginnt bereits an den Grenzen der Europäischen Union und kann nur gemeinsam und solidarisch durch alle EU-Mitgliedsstaaten gestaltet werden!
Wir wollen keine „Festung Europa“, sondern ein offenes, tolerantes Europa, für das eine konzertierte Aufnahme von flüchtenden Menschen in Not selbstverständlich ist. Damit Schutzsuchende überhaupt einen sicheren Weg nach Europa finden, müssen die völkerrechtswidrigen „Push-Backs“ an den südlichen EU-Landgrenzen (v.a. Bulgarien, Griechenland, Ceuta und Mellila) abgebaut werden.
Grenzzäune die – wie z.B. in Ungarn – neu errichtet werden, sind in einem Europa ohne Grenzen nicht hinnehmbar. Nur die zwingende Einhaltung menschenrechtlicher Standards eröffnet Flüchtlingen den Zugang zum Territorium der EU. Dies könnte auch dazu führen, die Anzahl der Flüchtlinge, die die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer antreten, einzudämmen. Solange die Menschen allerdings diesen Weg als ihre einzige Möglichkeit sehen, der Situation aus ihrem Herkunftsland zu entfliehen, ist Solidarität mit den Bootsflüchtlingen geboten. Die Sicherung der EU-Außengrenzen darf von der EU nicht zum „Mauerbau“ um Europa instrumentalisiert werden. Die EU sollte darüber hinaus eine zivile, europäische Seenotrettung etablieren und Frontex von dieser Aufgabe entbinden.
Durch die Beibehaltung des Dublin-Verfahrens und seiner Erweiterung auf alle Personen, die um internationalen Schutz ersuchen, wird faktisch den südlichen EU-Staaten (insbesondere Malta, Italien, Spanien und Griechenland) eine größere Verpflichtung auferlegt als nördlicheren Ländern. Eine Abschaffung der Dublin-Regelungen und ein Neuanfang in der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik sind deswegen unabdingbar. Wir fordern zügig einen gerechten EU-Verteilungsschlüssel zu etablieren, der die Bevölkerungszahl und die Wirtschaftskraft des jeweiligen Mitgliedsstaats berücksichtigt.
Bei der Weiterentwicklung der Verteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen EU-Mitgliedsländer ist es wünschenswert, dass auch individuelle Faktoren wie die Familienzusammenführung und Sprachkenntnisse Berücksichtigung finden. Im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention fordern wir perspektivisch, Flüchtlingen die Wahl des für ihr Asylverfahren zuständigen Staates selbst zu überlassen. Dies könnte beispielsweise dadurch realisiert werden, dass die finanzielle Verantwortung durch einen gesamteuropäischen Fond getragen wird.
Die Praxis, immer mehr Staaten zu sicheren Drittstaaten zu erklären, ist aus unserer Sicht sehr zweifelhaft. Nach wie vor werden Minderheiten, unterdrückt, verfolgt und nur unzureichend geschützt. Hier gilt es weiterhin umfangreiche Einzelfallprüfungen zu ermöglichen.
Zunehmend betreiben viele politische Akteure in Deutschland gerade populistische Hetze gegen Flüchtende, Asylsuchende und Migrant_innen. Dies ist nicht hinnehmbar und schürt Ängste in der Bevölkerung. Es spielt rechtsextremen Gruppierungen, Bewegungen und Parteien in die Hände und erzeugt ein hasserfülltes Klima in Deutschland und Europa. Wir fordern von Politiker_innen aller Parteien sich solidarisch mit den flüchtenden Menschen zu zeigen, Verantwortung zu übernehmen und alles dafür zu tun, dass sie zügig in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert werden können.
Verantwortung zu übernehmen, heißt aber auch eine Politik und Wirtschaft zu betreiben, die nicht zu Lasten der Länder geht, aus denen gerade viele Menschen fliehen. Der Schlüssel zur Lösung der Flüchtlingskatastrophe liegt deshalb nicht nur in der Europäischen Union, sondern auch in den Herkunftsländern der Flüchtlinge.
Waffenexporte in diese Regionen sind entschieden abzulehnen. Solange es dort weiterhin keine menschenwürdigen Lebensperspektiven gibt, wird der Flüchtlingsstrom nicht abreißen. Wir fordern die Europäische Union und die Bundesregierung dazu auf, diese Länder aktiv bei demokratischen Reformen und einer nachhaltigen Entwicklung zu unterstützen.