Es war eine ganz kleine Geste, in der die ganze Freude über das Gelingen lag. Die fast unmerklich geballte Faust am Ende seines fabelhaften Programms zeigte, dass Daniel Stark, der 17-jährige Junioren-Kunstradfahrer des TSV Bernlohe, schon vor dem Blick auf die Anzeigentafel wusste, dass er den Titel UCI-Europameister U19 im 1er-Kunstradfahren in der BBC-Arena im Schweizerischen Schaffhausen gewonnen hatte.
Mit einer athletischen, taktischen und nervlichen Meisterleistung löste der Bernloher ein, was er in den letzten Wochen immer wieder gesagt hatte: „Ich will diesen Titel!“ Völlig unbeirrt hat er sich nach einer durchaus wechselhaften Saison, in der er trotz seines Vorsprungs in der Schwierigkeit seines Programms immer wieder als Zweiter hinter Hauptkonkurrent und Deutschem Meister Linus Weber von der Fläche gegangen war, gerade im richtigen Moment in absoluter Höchstform gezeigt.
Battle der Top-Junioren
Das Battle zwischen den beiden Top-Junioren im 1er-Kunstradfahren, denen auf nationaler Ebene kaum jemand und international niemand auch nur annähernd das Wasser reichen kann, war zum erwartbar spannenden Höhepunkt dieser Hallenrad-Europameisterschaft geworden – einer Hallenrad-EM, bei der ausnahmslos alle Titel an Athleten der deutschen Nationalmannschaft gingen.
Mit einer sensationellen Leistung von 172,45 Punkten hatte der als vorletzter im Wettbewerb startende Weber in fünf beinah makellosen Kürminuten all sein Können unter Beweis gestellt. „Eine Ansage“, wie der Moderator in der Halle voller Respekt anmerkte. Eine Ansage, die Daniel Stark unmittelbar danach zu einem persönlichen Höhenflug beflügelte. Statt auf Sicherheit zu setzen, begann er sein Programm mit einer taktischen Erweiterung der Handstandübung, die er in der Schweizer Ausführung aus der Vorhebehalte zeigte. Für das Gelingen gab es Bonus-Punkte, die den ohnehin vorhandenen Vorsprung in der Punktzahl noch einmal erhöhten. Das Programm lief wie auf Schienen, ohne jede Unsicherheit zeigte der Bernloher Höchstschwierigkeit um Höchstschwierigkeit und zog bei der mehrfachen Lenkerstanddrehung einen weiteren taktischen Erweiterungs-Joker. Nach drei von fünf Minuten Kürzeit standen mit 181,9 Punkten mehr Zähler auf der Anzeigetafel als zum Beginn. „Er will gewinnen“, war aus der Sprecherkabine zu hören, während Heimtrainer Volkmar Zint am Flächenrand vor Aufregung die Fotokamera nicht mehr halten konnte. Mit einer persönlichen Bestleitung von 175,97 Punkten und einem komfortablen Vorsprung holte sich Daniel Stark mit einer mehr als überzeugenden Vorstellung den Europameistertitel.
Dritter Europameistertitel für TSV Bernlohe
Es ist der insgesamt dritte Europameistertitel für den TSV Bernlohe, seit Milena Slupina vor acht Jahren erstmals gewonnen hatte. Für Daniel Stark ist es das zweite blaue Siegertrikot bei einer EM und das ist das wirklich Besondere an diesem Ergebnis: Ihm ist gelungen, was unter Kunstrad-Experten als ausgeschlossen galt – Europameister in zwei aufeinanderfolgenden Jahren in zwei unterschiedlichen Disziplinen zu werden. 2021 stand Daniel Stark zusammen mit seinem älteren Bruder Alexander im 2er-Kunstradfahren ganz oben auf dem europäischen Treppchen. 2022 holte er sich jetzt den Titel im 1er. Das wird ihm so schnell keiner nachmachen. Alle drei erfolgreichen Titelkämpfe fanden übrigens in der Schweiz statt. Offenbar ein gutes Pflaster für die Kunstrad-Abteilung des TSV Bernlohe, dem kleinen Dorfverein, in dem internationale Champions geformt werden.
Text: Steffi Graff
Fotos: Volkmar Zint