Foto: Andreas Beyer

Frischauf – das Motorrad aus der Genossenschaft

„Frisch-auf“ grüßten sich die Mitglieder des „Arbeiter-Radfahrer-Bund Solidarität – und Frischauf hieß auch das erste Motorrad, das 1929 die Solidaritäts-eigene Fahrradfabrik in Offenbach verließ.

Frischauf 29 T 500 (Baujahr 1929)

Motor: Küchen-Motor Typ KMV; luft-/ölgekühlter Einzylinderviertaktmotor mit drei hängenden Ventilen, über Königswelle, Schwinghebel und Kipphebel betätigt
Hubraum: 496 ccm
Bohrung x Hub:   79 x 100 mm
Leistung: 22 PS
Vergaser: Fischer B&B, Frankfurt
Zündung: Zündlichtmagnet Fischer Fenag
Schmierung: Frischölschmierung; Ölpumpe im Steuergehäuse integriert
Antrieb: Gekapselter Primärkettenantrieb im Ölbad; Mehrscheibenkupplung; Kickstarter; Hurth-Dreiganggetriebe mit Tankschaltung; Kette zum Hinterrad
Fahrwerk: unten offener Stahlrohrrahmen, gemufft und hartgelötet; Tiger-Gabel; Bereifung 26 x 3,5 Ballon oder 4.00 x 19
Leergewicht: 145 kg
Spitze: 120 km/h
Preis: 975 Mark

Wie viele andere Fahrradhersteller, die sich dem Motorradbau zuwandten, begnügte sich Frischauf mit der Produktion des Fahrgestells und der Endmontage, die Motoren und andere Bauteile wurden hingegen bei renommierten Anbietern eingekauft. So ersparten sich die Genossen die Entwicklungskosten für ein eigenes Triebwerk. An der Qualität wollten sie aber nicht sparen – das war gute Geschäftstradition aus dem Fahrradgeschäft, wo sich die Frischauf-Räder mit ihrer hervorragenden Verarbeitung und einem vernünftigen Preis schnell durchgesetzt hatten. 1929 führte Frischauf der „Hessischen Dampfkesselinspektion“ in Darmstadt das erste konfektionierte Eigenbaumotorrad vor. Am 26. April 1929 erteilte diese Vorgängerorganisation des heutigen TÜV einen Typschein für die „Frischauf Type 29 T 500“ und das Werk begann mit einer Fertigung kleiner Stückzahlen. Mit einem Preis von 975 Reichsmark war die 500er Frischauf durchaus preiswert und an der Qualität gab es wie erwartet nichts auszusetzen. Zudem sah das schwarze Motorrad mit seinen weißen Zierleisten eigentlich auch ganz ansprechend aus, einzig der Doppelrohrrahmen mit seinem Stecktank wirkte etwas veraltet, hatte doch bei anderen Marken schon der Satteltank Einzug gehalten. Das Dreiganggetriebe kam von Hurth in München, der Vergaser von B&B Fischer in Frankfurt, Fichtel & Sachs trug die Radnaben bei, hinten sogar mit Steckachse. Die Zündlichtanlage kam von Fenag und die beiden Schalldämpfer von Haweg. Alles zusammen ergab ein Leergeweicht von 145 kg, die Höchstgeschwindigkeit bezifferte Frischauf mit 120 km/h.

Den sogenannten „K-Motor“, eine Entwicklung der Brüder Franz und Xaver Küchen, lieferte die „Maschinenbau-Gesellschaft“ in Heilbronn. Dieser Dreiventiler mit 350 oder 500 ccm war bei den Konfektionären sehr beliebt, hatte er doch mit seiner Königswelle die Anmutung eines rassigen Renners. In Wirklichkeit war er aber ein gutmütiger Sportmotor, der höchstens mit vergleichbaren Stoßstangenaggregaten mithalten konnte.

Schon zu Beginn der zwanziger Jahre bot Küchen einen Königswellenmotor zum Einbau an. Die Steuerung der Ventile erfolgte damals noch mit einer Nockenscheibe, ähnlich der englischen Chater-Lea. Der Küchen-Zweiventiler wurde von den findigen Brüdern im Lauf der Zeit weiterentwickelt – etwa 1927 entstand so der später bei Frischauf verwendete Dreiventilmotor.

Die Nockenscheibe hatte nun zwar ausgedient, aber immer noch sparte Küchen sich die übliche Umlenkung von der Königswelle auf eine quer im Zylinderkopf liegende Nockenwelle. Stattdessen betätigte eine Nocke direkt auf dem oberen Ende der Königswelle im Steuergehäuse ein System von Schwing- und Kipphebeln. Der Nocken drückte auf mit Laufrollen versehene Schwinghebel, die ihrerseits über einen langen Hebelarm die Kipphebel bewegten. So wurde die Drehrichtung zwischen Nocke und Kipphebel um 90 Grad gekippt. Bemerkenswert ist auch ein separater „Ölsumpf“ im Zylinderkopf: Eine Zwillingsölpumpe, von der Königswelle mittels einer eingeschnittenen Schnecke angetrieben, pumpt ständig Schmiermittel aus dem Öltank in das abgedichtete Steuergehäuse. Dadurch bewegen sich die Ventile und die Berührungsflächen der Nocken und Hebel in einem regelrechten Ölbad und werden permanent geschmiert. Durch die Kapselung sind sie zudem völlig gegen äußere Einflüsse abgeschlossen. Dem Ölbad fällt aber noch eine weitere wichtige Aufgabe zu: die zusätzliche Kühlung des Zylinderkopfes. Zugleich drückt die Pumpe – in einem Schauglas kontrollierbar – durch das Königswellenschutzrohr das Schmiermittel sowohl ins Kurbelgehäuse und zu den Lagerstellen als auch zum Kegelradpaar und zum Magnetantrieb.

Wen verwundert es da noch, dass Küchen auch bei der Anzahl der Ventile seinen eigenen Weg ging? Dem großen Auslassventil hängen zwei kleinere Einlassventile gegenüber, die zusammengerechnet einen größeren Querschnitt als der Auslass aufweisen. Eine fortschrittliche Lösung: Erst 65 Jahre später sollte sich diese Dreiventilanordnung im Motorradbau wirklich durchsetzen.

Ein kleiner Dekompressionshebel am Steuergehäuse erleichtert das Antreten. Über einen Hilfsnocken hält er das Auslassventil während zwei Drittel des Kolbenweges geöffnet. Die Entlüftung mittels Schlitzen in der Kurbelwelle ist zwangsläufig durch den Unterdruck im Kurbelgehäuse gewährleistet. Der K-Motor ist bereits mit einem Leichtmetallkolben ausgerüstet; das Pleuel lagert auf Rollen; die An- bzw. Abtriebswelle sowie die Köngiswelle laufen in Kugellagern.

Als der Typ 29 T mit diesem K-Motor als erstes Frischauf-Motorrad auf die Straßen rollte, hatte die Firma selbst schon eine bewegte Geschichte hinter sich. Frischauf war aus einer 1896 gegründeten Einkaufsgenossenschaft für Fahrräder und Zubehörteile entstanden, die seit 1901 dem sozialistischen „Arbeiter-Radfahrer-Bund Solidarität“ angeschlossen war. 1906 hieß der Betrieb „Solidaritäts-Fahrradindustrie-Einkaufsgenossenschaft für die Mitglieder des Arbeiter-Radfahrerbundes Solidarität“. Aber der Einspruch einer Gesellschaft mit ähnlichem Namen veranlasste die Genossen – inspiriert durch ihre Grußformel – zur Umbenennung in „Fahrradhaus Frischauf“.

1910 wurde in Offenbach in der Sprendlinger Landstraße 220-226 das erste Gebäude errichtet. Mit vernünftigen Preisen und der hervorragenden Fertigungsqualität setzten sich die Räder schnell durch: Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab es in Deutschland bereits rund 80 Filialen. Die etablierten Berufsorganisationen beäugten das florierende Geschäft der genossenschaftlich organisierten Konkurrenz mit einer gehörigen Portion Neid.

Nach dem Krieg musste Frischauf mühsam in kleinem Rahmen das Geschäft neu aufbauen. Mitarbeiter und Material waren Mangelware, zudem machte die fortschreitende Inflation den Unternehmen Schwierigkeiten. Aber so schlecht die Zeiten auch waren – auf Mobilität konnten die Menschen nicht verzichten und schon bald florierte das Fahrradgeschäft in Offenbach wieder. Die stark in Mode gekommenen Bahnrennen in Sporthallen oder Stadien sorgten für weiteren Aufschwung. Allein 1925 fertigte Frischauf rund 3700 Rennräder! Zudem sorgten Einräder und Spezialanfertigungen für den populären Radballsport für eine fundierte Basis zur Fertigung von Tourenrädern im großen Stil. So wurde das Fabrikgelände um mehrere Hallen erweitert und die Produktionszahlen der Tourenräder stiegen bis auf 20 000 Stück im Jahr. Im Bemühen, sich weitere Standbeine zu schaffen, produzierte Frischauf auch Nähmaschinen und Motorräder.

1929 wurden die ersten 500er-Maschinen ausgeliefert, aber so richtig in Schwung kam das Motorradgeschäft erst im Jahr darauf. Sogar den Wunsch nach kleineren Fahrzeugen konnte Frischauf nun mit verschiedenen „Konfektionsgrößen“ erfüllen. Für den Einsteiger gab es das Frischauf-Kleinmotorrad, wahlweise mit 80-ccm-JLO oder mit 74er Sachs-Nasenkolbenmotor. Als Herrenmodell kosteten diese beiden kleinen Zweitakter 275 beziehungsweise 276 Reichsmark, die Damenmodelle standen mit 285 und 288 Reichsmark in der Preisliste. Unter den Typenbezeichnungen Z. T. (Zweitakt) und V. T. (Viertakt) füllten zwei Modelle der beliebten, weil führerschein- und steuerfreien 200-Kubik-Klasse die Lücke zwischen diesen Kleinmotorrädern und der 500er.

Die Z. T. wurde mit einem 6 PS starken 193-ccm-Villiers-Motor und Hurth-Getriebe geliefert, gut für eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Ein feines, kleines Maschinchen, das mit 600 Reichsmark zu Buche schlug, für elektrisches Licht war ein Aufpreis von 110 Reichsmark fällig. Das Gewicht betrug ungefähr 100 kg. Das Modell V. T. war mit dem JAP-Seitenventiler 40 Reichsmark teurer als die Zweitakter. Der 196-ccm-Motor leistete zwar „nur“ fünf PS bei 3600 Umdrehungen, zog aber wesentlich kräftiger durch als der Villiers-Zweitakter. Das Dreiganggetriebe stammte von Burman.

Beide 200er-Modelle folgten der Linie des 500er Frischauf-Flaggschiffes und galten als durchaus formschön. Wer wollte, konnte sogar weiße Reifen erhalten – gegen Aufpreis, versteht sich. Der Preis der 500er kletterte 1932 auf 1160 Reichsmark, damit lag sie im Vergleich zu anderen Konfektionären in der Mitte. Billigstkonstruktion war halt nicht die Sache von Frischauf, so wurden natürlich auch nur kleine Stückzahlen erreicht. Im Rhein-Main-Gebiet waren die Frischauf jedoch sehr beliebt.

Die Spanne der Rahmennummern beim Typ 29 T reichte von 1000 bis 1500; unser Fotomodell mit der Nummer 1011 gehört folglich zu den „Frühwerken“ aus dem Jahr 1929. Ein anderes bis heute überlebendes Fahrzeug trägt die Fahrgestellnummer 1426, hier weist der Brief Baujahr 1934 aus. Dies dokumentiert somit in etwa auch den Zeitraum der Motorradproduktion von Frischauf.

Wie wichtig die motorisierten Zweiräder für den Fahrradhersteller geworden waren, zeigt eine kleine Namensänderung in den späten Zwanzigerjahren: Die Genossenschaft firmierte nun als „Arbeiter-Rad- und Kraftfahrer-Bund Solidarität“.

Im Jahr 1933 verboten die Nationalsozialisten den ARKB Solidarität und die Produktionsstätte in Offenbach wurde vom Staat Hessen übernommen. Damit ging nicht nur die Motorradproduktion ihrem Ende entgegen, sondern die gesamte Geschäftstätigkeit von Frischauf. 1936 übernahm der Bremer Hugo Mayweg das Frischauf-Werk, zwei Jahre später erwarb die REX-Maschinenbaugesellschaft das Unternehmen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden dann Rüstungsgüter produziert.

Nach dem Krieg fand sich die zerschlagene „Solidarität“ wieder zusammen, ihr Sitz ist auch heute noch in Offenbach am Main und 1996 konnte sie das 100-jährige Jubiläum feiern. Aber die Motorradherstellung wurde nicht wieder aufgenommen. Sie war in dieser „Jahrhundertgeschichte“ nicht mehr als ein kurzes, wenn auch interessantes Intermezzo.

Text: Thomas Trapp
Fotos: Andreas Beyer, Jürgen Nöll, Tilmann Ziegenhain
Film: Tilmann Ziegenhain